MOBILITÄT
Den motorisierten Individualverkehr abschaffen!?
Die Stadt Bamberg macht es digital. Mit der Beteiligungsplattform “bamberg-gestalten.de erfahren” soll eine neue Verkehrspolitik begründet werden. Harsche Kritik ist angesagt.
Wirkt wie eine Kopie des Forderungskatalogs vom Radentscheid 2018
“Erfreut und überrascht haben wir von der Freischaltung der neuen Beteiligungsplattform bamberg-gestalten.de erfahren”, schreibt Dr. Ulrich Krackhardt namensder Bürgerinitiative „Bamberg Gemeinsam Mobil“ an Bürgermeister Jonas Glüsenkamp und zugleich Referent für Mobilität. “Grundsätzlich ist es sicherlich ein guter Gedanke, bei diesem wichtigen Thema eine Bürgerbeteiligung anzustoßen”, heißt es in dem Brief. Jedoch sei es mehr als fraglich, ob hier ein aussagekräftiger Querschnitt der Bevölkerung erreicht werden kann: Wie werden hier beispielsweise ältere Menschen erreicht, die sehr spezifische Bedürfnisse an den Verkehr haben?
Krackhardt schreibt weiter: “Werden hier nicht nur gezielt digital aktive Bevölkerungsgruppen angesprochen? Was ist mit den - wohl mehrheitlichen - Bürgern, die sich in einer repräsentativen Demokratie wähnen und nicht die Zeit haben, sich mit online-Diskussionen zu befassen?”
Nachdem sich Mitglieder von “gemeinsam mobil” intensiv mit der Plattform auseinandergesetzt haben, seien bei ihnen doch erhebliche Zweifel aufgekommen, dass es sich hier um eine ergebnisoffene Form der Bürgerbeteiligung handelt. So wirken die Sätze doch wie eine Kopie des Forderungskatalogs vom Radentscheid, stellt man bei “gemeinsam mobil” fest.
Zudem sei weiterhin völlig unklar, inwiefern die Änderungsanträge der Stadtratsfraktionen bereits eingearbeitet wurden und welche Version des Verkehrsentwicklungsplans (VEP) überhaupt als Diskussionsgrundlage dienen soll. Die aufgeführten Diskussionspunkte widersprächen den konkreten Stadtratsbeschlüssen oder Vereinbarungen.
Alle Akteure des Verkehrs sollten berücksichtigt werden
Wörtlich heißt es dann in dem Schreiben an den Bürgermeister: Als Beispiel wäre hier der Punkt “Umgestaltung zentraler Räume zu Mischverkehrsflächen mit niveaugleichem Straßenraum; verkehrsberuhigte Geschäftsbereiche (z.B. Lange Straße)” zu nennen. Gibt es hier nicht aus dem letzten Mobilitätssenat einen Beschluss, der genau einen solchen Umbau eben nicht vorsieht?
In der Wirtschaft-Sondersitzung des Stadtrates vom 28.4. wurde deutlich auf die Probleme des Handwerks in Bezug auf Anlieferung und Halten an Baustellen hingewiesen. Wie ernst diese Mahnungen genommen wurden, zeigt folgender Punkt: “Im Kern des Konzepts steht die Abstimmung der Lieferzeiten, der Einsatz alternativer Lieferfahrzeuge (z.B. Elektro-, Lastenrad) und die innovative Verteilung über sogenannte Micro-Hubs: Verteilzentren z.B. in Tiefgaragen oder Leerständen zur Bündelung des Verkehrs, Feinverteilung mit Kleinfahrzeugen” - Ein klarer Widerspruch zu getroffenen Aussagen.
Die Hoffnung, dass die Projektauswahl noch Thema im anstehenden Mobilitätssenat ist oder sogar diskutiert wird, zerschlägt sich mit der aktuellen Sitzungsvorlage für den 11.5.21. Somit bleibt der Eindruck, dass es hier um eine sehr subjektive Idee des Mobilitätsreferats geht.
Aber es gibt ja eine Beteiligungsfunktion. Schließlich gibt es ja erhöhten Gesprächsbedarf. Die Anmeldung ging zwar noch recht zügig, allerdings haben wir den Versuch, einen Beitrag einzustellen schon eher als Hürde denn als Einladung wahrgenommen! Ein überdimensioniertes Antragsformular schreckt dann doch etwas ab - Titel, Titelbild, Zusammenfassung des Vorschlags, Vorschlagstext, Video anhängen, auf der Karte verorten und dann noch in drei Projektebenen eintragen… Sicher will man so spontane Äußerungen vermeiden.
Dann bekommt die Empfehlung auf der Plattform: “Genießen Sie diesen Ort und die Stimmen, die ihn füllen. Er gehört auch Ihnen.” einen ganz anderen Geschmack - was durch die Tatsache belegt sein mag, dass Stand 6.5. noch kein einziger Beitrag eingestellt war.
Zu einem Verkehrsentwicklungsplan gehört es, dass alle Akteure des Verkehrs berücksichtigt werden. Liest man sich die übrigen Punkte durch, wird aber schnell klar: Es geht um die Abschaffung des motorisierten Individualverkehrs! Sei es heute das Auto oder morgen autonom fahrende Vehikel. Wir verbauen uns und unseren Kindern
damit die Zukunft!
Eine Verkehrswende wird jedoch nur gelingen, wenn man alle Akteure berücksichtigt und durch eine echte, ergebnisoffene Beteiligung ins Boot holt. Ein Durchdrücken eigener Wunschvorstellungen ist nicht nur egoistisch, sondern auch unsozial und - wie beschrieben - sogar anti-demokratisch.606W
Vgl. webzet-blog-Artikel “Jetzt sollen die Betroffenen mitreden” v. 3.5.21
10.5.21 Bilder: webzet. Hinweis: Die Mail-Adresse der webzet-blog ist im Impressum (M.u.) zu finden. Zu dem Artikel äußern können Sie sich anhand der Kommentarfunktion unten. Die Kommentare werden nach einer Überprüfung gemäß der Richtlinien für Kommentare (Mitte u.) freigeschaltet. {jcomments on}
Die werten Kommentator/innen werden daran erinnert, dass laut Richtlinien nur 2 KOMMENTARE erlaubt sind. Ein dritter muss die Ausnahme und nachvollziehbar sein.
Nutzungsbedingungen
abonnieren
Report absenden
Mein Kommentar