22. Dezember 2024

Schulterklopfer gibt es schon genug

Interview einmal anders herum: Als Journalist ist es Michael Wehner gewohnt, Fragen zu stellen. Diesmal übernahm das OB Andreas Starke – und Wehner antwortete.

Angst um einen Journalismus, der nicht mehr offen ist

Nach fast 32 Jahren verabschiedet sich FT-Chefreporter Michael Wehner in den Ruhestand. OB Andreas Starke trifft ihn zum letzten Mal zum Interview – und stellt diesmal die Fragen. Im RATHAUS JOURNAL 03/2024 kann das ausführliche Interview nachgelesen werden. Die WebZ hat daraus einige Fragen und die folgenden Antworten von Wehner aufgegriffen. Die Fragestellungen sind teilweise in den Text eingebettet oder werden durch Fettdruck kenntlich gemacht.

OB: Hat sich die Arbeitsweise der Journalisten verändert durch die Sozialen Medien?  Wehner: Mein Eindruck ist der, dass man Facebook als Steinbruch verwendet, um Themen zu identifizieren und Meinungen aufzugreifen. Man neigt dazu, es wichtig zu nehmen, weil plötzlich greifbar wird, was an den Stammtischen gesprochen wird. Aber Facebook wird auch überbewertet. Wenn die Redaktion nur noch auf die Sozialen Medien starrt, ist das der falsche Weg. 

Macht Ihnen die Entwicklung der Medien Angst? In den Sozialen Medien werden viele Unwahrheiten rausposaunt, das ist sehr ungut. Aber natürlich gibt es den Leuten auch die Gelegenheit, unverblümt ihre Meinung zu sagen. Vielen fehlt leider das Gespür, wo diese Freiheit endet. Angst habe ich um einen Journalismus, der nicht mehr offen ist, sondern sich zum, ich sage mal, Erziehungsjournalismus wandelt. Wenn vorgefilterte Meinungen serviert werden, statt dem Leser die Entscheidung zu lassen. Auch die öffentlich-rechtlichen Medien sind nicht davor gefeit, das Meinungsbild zu verengen. Viel zu selten geht es um Themen, die den Menschen auf den Nägeln brennen, zum Beispiel Wohnungsnot, Rente, Pflege, Löhne, kaputte Straßen, ganz Elementares. 

Wie sieht für Sie die Zukunft des lokalen Journalismus aus? 

2022 erhielten Michael Wehner (l,) und Sebastian Schanz (r.) den Wächterpreis der deutschen Tagespresse.

Wir haben eine komplexe Wirklichkeit, und nie war es so spannend wie heute, die Welt zu erklären. Wer soll denn die gesellschaftlichen Probleme erörtern – wenn nicht Journalisten mit einem halbwegs neutralen und nicht interessensgebundenen Hintergrund? Blogger oder Influencer, die häufig bezahlt werden von den PR- Abteilungen der Unternehmen, können das nicht. Die Demokratie braucht auch in Zukunft unabhängige Lokaljournalisten. Ohne sie gäbe es keine Kontrolle der Politik mehr – und auch das Bewusstsein einer Region würde fehlen. In Bamberg, das ist das Gute, gibt es noch einen sehr dichten Lesermarkt. Auch deshalb, weil die Leute unheimlich interessiert sind und ihre Stadt lieben. 

Die Bamberger Kommunalpolitiker mögen es mir verzeihen, dass ich nicht in den Lobgesang eingestimmt habe. Das liegt in der Natur der Sache. Journalisten müssen Schwächen benennen, sagen, wenn etwas schiefläuft. Schulterklopfer gibt es schon genug, auch in Bamberg. 

Ist der Motor der Bamberger Kommunalpolitik eher im Rathaus oder im Stadtrat? Die Rathaus-Mitarbeiter sind fleißig und liefern, aber der Stadtrat hat auch den Ehrgeiz etwas zu bewegen. Es könnte vielleicht noch besser sein, wenn der Stadtrat sich nicht selbst neutralisieren würde durch die Aufsplitterung in so viele Fraktionen. Es gibt eigentlich niemanden mehr in Bamberg, der ein Machtwort sprechen könnte. Die Meinungsvielfalt droht zum Tohuwabohu zu werden. 

Was sich Wehner für den Ruhestand vorgenommen hat

Es gibt Pläne und Ideen, ich fahre weiter viel Fahrrad, gehe wandern und bergsteigen. Aber ich habe mir kein festes Programm vorgenommen, das mich nur einengen würden. Ich genieße es im Abklingbecken zu sein, auch wenn das schneller kam als geplant. Offiziell in Rente bin ich erst in einigen Jahren. 

Sie haben ja einen riesen Erfahrungsschatz, und wir wissen ja Ihre Feder zu schätzen. Wird man von Ihnen noch einmal etwas lesen? Es muss niemand fürchten, dass ich einen Rathaus-Krimi schreibe oder eine FT-Satire. Aber irgendwann wieder zu schreiben, schließe ich natürlich nicht aus. Ich befinde mich in der privilegierten Lage, dass ich nichts mehr machen muss, aber eben kann. Und falls es Gerüchte geben sollte, ob ich mich bei der Stadt als Pressesprecher bewerbe – da muss ich sagen: Der Job wäre eine interessante Abrundung meiner Karriere. Aber man muss nicht alles ausprobieren. 

Geschrieben: Rh Journal-mdw; veröffentlicht: 4.04.24; Bilder v. webzet (Titelbild ist i.d.R. Symbolfoto); BildNw: Sonja Seufferth, Stadt Bbg

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7 Gedanken zu “Schulterklopfer gibt es schon genug

  1. “Angst um einen Journalismus, der nicht mehr offen ist”?
    Der deutsche Journalismus ist schon seit wenigstens 2015 nicht mehr offen. Haltung und Moral über allem, Denken nur noch betreut innerhalb enger werdender Grenzen.
    Schön bringt das Le Monde diplomatique auf den Punkt (https://www.monde-diplomatique.fr/2024/03/SCHEIDLER/66637?erreur_connexion=saisie)

    Wer sagt, dass die wahren Faschisten diejenigen sind, die erst “Hate Speech” definieren, um dann Ausagen zu verfolgen, die explizit nicht strafbar und von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, der wird als pööööser Rächtär etikettiert.

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  2. ist doch schön, dass das interview mit wehner derjenige führen durfte, der zuletzt am meisten unter ihm gelitten hat, und die mediengruppe oberfranken ist nun auch endlich einen kritischen journalisten los und kann sich wieder ungestört ihrem kerngeschäft, also der anzeigenwerbung widmen. so hat jeder was.

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  3. Ich hab nicht alles für Gut geheißen, was er geschrieben hat, aber er hat sich nie ein Blatt vor den Mund genommen und war wohl der beste Journalist, den der FT hatte. Leider hört man nur Gerüchte über seinen Abgang dort. Und von der “Schreiberin”, Annette Schreiber, und von Roland Rinklef spricht gar keiner mehr. Die Herrn Memmel und Martin hatten wohl den Niedergang der Lokalredaktion erkannt und früh genug den Abgang gemacht.

  4. Es ist schade um so einen guten Journalisten. Er war ein ganz grosser, aufmerksamer freundlicher, gescheider Mensch. Alles Gute für ihn.

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  5. Starke lädt Wehner zum Interview ein! Ich halte es für wahrscheinlich, dass Starke mit dazu beigetragen hat, den auch für ihn zu aufmerksamen Journalisten raus zu kegeln.

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  6. Man merkt es, mit Wehner ist ein Journalist der alten Schule aus dem Dienst gegangen (worden)

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Kommentare sind geschlossen.

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