Mammutprozess gegen Geldautomatensprenger

Einer der größten Prozesse, die es in Bamberg je gab. Weil sie in ganz Deutschland Geldautomaten gesprengt und Millionen erbeutet haben sollen, stehen 16 Angeklagte vor dem Landgericht Bamberg. 

Noch vor der Anklageverlesung wurde der Prozess unterbrochen

Angeklagte aus verschiedenen Ländern müssen sich vor dem Landgericht Bamberg verantworten: Vor allem in Bayern und Baden-Württemberg sollen sie Automaten gesprengt und große Schäden angerichtet haben. Wegen seines Ausmaßes findet der Prozess in der John-F.-Kennedy-Sporthalle auf dem Gelände der Bundespolizei statt. Das Gericht hat 74 Verhandlungstage angesetzt. Der Prozess wurde  allerdings schon gleich nach Beginn abgebrochen, um am 8. Mai fortgesetzt zu werden.

Die WebZBlog übernimmt für diesen Bericht weitgehend Teile aus einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen (FAZ) vom 25.4.2024. Der komplette Artikel kann bei der FAZ  abgerufen werden.

Beteiligte in der zum Gerichtssaal umfunktionierten J-F-Kennedy-Sporthalle.

“Als um kurz vor neun die ersten Angeklagten von der Gefangenensammelstelle in die Turnhalle der Bundespolizei geführt werden, tummeln sich schon viele Kamerateams zwischen den Tischen der Verteidigung. „Zehn Angeklagte sind jetzt im Saal“, gibt ein Beamter per Funk durch. Es ist der größte Prozess gegen Geldautomatensprenger in der deutschen Geschichte. 16 Männer im Alter von 23 bis 42 Jahren aus den Niederlanden und aus Belgien müssen sich seit Donnerstagmorgen für 30 Taten vor dem Landgericht Bamberg verantworten. 

Den jüngeren Angeklagten, die mit Hand- und Fußfesseln nach und nach in den Saal geführt werden, sieht man die Anspannung an. Einer von ihnen rauft sich durchs lockige Haar, wippt nervös mit den Füßen. Den Männern drohen lange Haftstrafen. Der Tatvorwurf lautet schwerer Bandendiebstahl in Tateinheit mit dem Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und der Zerstörung eines Gebäudes. Ein großer Teil der Angeklagten steht auch wegen schwerer Körperverletzung vor ­Gericht. Von der Tribüne für Journalisten und Zuschauer winken Angehörige den Beschuldigten zu. (…)

Zwei bis drei Verteidiger führt jeder der Männer mit sich, hinzu kommen Dolmetscher. Rund 50 Personen nehmen allein auf der Seite der Angeklagten Platz. Da sich im Justizgebäude am Wilhelms­platz kein Raum fand, der solche Massen fassen konnte, findet der Prozess in der John-F.-Kennedy-Halle (…) statt. Darin ist Platz für etwa 200 Menschen.

Anwälte ziehen sich für eine Besprechung mit dem Gericht zurück

Nach der Feststellung der Personalien kommt es kurz vor zehn Uhr zur ersten Unterbrechung, nachdem die Verteidigung vom Gericht einen Datenträger mit neuen Prozessunterlagen erhalten hat. „Wie soll ich mich mit meinem Mandanten darüber unterhalten, ohne Dolmetscher?“, fragt ein Verteidiger. Auch andere Anwälte äußern aufgrund des Umfangs des Materials Bedenken. Sie ziehen sich mit dem Gericht in ein Besprechungszimmer zurück. Eigentlich war für den ersten Prozesstag vorgesehen, die mehr als fünfzigseitigen Anklageschriften zu verlesen.

Die Pause nutzt einer der Zuschauer zum Rauchen. Er flucht auf Türkisch: „Amına sikerim, Almanya“ (Fick dich, Deutschland), ehe er nach der Toilette fragt. Gegen zwölf Uhr steht fest: Die Verteidiger stellen Aussetzungsanträge nach der Unterredung mit den Richtern und Staatsanwälten. „Bei diesem Gespräch wies eine Vielzahl an Verteidigern darauf hin, dass aufgrund der übergebenen Datenmenge am heutigen Tag derzeit keine sinnvolle Verteidigung geführt werden kann“, fasst der Richter fürs Protokoll zusammen. (…)

Tätig war die Bande vor allem in Bayern und Baden-Württemberg, aber auch in anderen Bundesländern. Das bayer. Beutegebiet ist der Grund, warum sich die Staatsanwaltschaft Bamberg des Falls angenommen hat. Zwei Sprengungen fanden im Zuständigkeitsbereich der Behörde statt, in den Orten Zapfendorf und Forchheim. Der Schaden der Taten, die in Bamberg verhandelt werden, beläuft sich auf etwa 6.779.980 Euro – die Beute der Täter auf eine Summe von geschätzt 3.520.920 Euro. Außergewöhnlich ist auch, wie die Tatverdächtigen vor einem deutschen Gericht gelandet sind. In den meisten Fällen von Geldautomatensprengungen ist es schwer, die Täter zu ermitteln, außer die Polizei stellt sie am Tatort oder auf der Flucht. „International gab es eine gute Zusammenarbeit mit Eurojust und den niederländischen Justizbehörden“, sagt Alexander Baum, der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Bamberg.

Festnahme von neun Tatverdächtigen erfolgte in den Niederlanden

Im Januar vergangenen Jahres schlug ein Team aus deutschen, belgischen und niederländischen Ermittlern zu, nachdem die Bande längere Zeit überwacht worden war. Die Beamten nahmen neun Tatverdächtige im Alter von 25 bis 41 Jahren in den Niederlanden fest. In einer Garage in Roermond in der Provinz Limburg stellten sie ein mutmaßliches Tatfahrzeug, einen Audi RS 6, und vorgefertigte Sprengpacks sicher. Nach den Festnahmen beantragte die Staatsanwaltschaft Bamberg die Auslieferung nach Deutschland. (…)

Den (…)Festgenommenen werden 27 Sprengungen angelastet. Bis auf einen Mann, der in Belgien lebt, wohnen sie alle in den Niederlanden. Die Zusammensetzung der Gruppe ist international, sie sind niederländischer, marokkanischer, türkischer, afghanischer und rumänischer Nationalität. Wie aus ihren persönlichen Angaben hervorgeht, hätten sich die meisten auch auf ehrliche Weise verdingen können. Ihre Berufe: Verwaltungsfachkraft, Transportlogistiker, Krankenpfleger, Auto­mechaniker. Einer hat einen Hochschul­abschluss in Wirtschaftswissenschaften.

Die Festsetzung der zwölf Automatensprenger hielt einen kleinen Rest der Bande nicht davon ab, weiter auf Raubzug nach Deutschland zu fahren. Das Tatfahrzeug war wieder ein Audi RS 6. Ermittler nahmen im September 2023 vier weitere Tatverdächtige marokkanischer und niederländischer Staatsangehörigkeit im Alter von 25 bis 30 Jahren in Utrecht fest. Dabei fanden sie Bargeld in fünfstelliger Höhe, hochwertige Designerkleidung, Zünder, Speichermedien und Mobiltelefone. (…) 

Die Bande soll bei vielen Sprengungen ähnlich vorgegangen sein

(…)  Die Strafverfolger gehen von organisierter Kriminalität aus, so wie das Bayerische Landeskriminalamt, das die Taten im Dezernat für Organisierte Kriminalität führt. „Es handelt sich um eine fluide organisierte Struktur, bei denen sich die Zellen aushelfen und stetig neue Mit­täter anwerben, ausbilden und einsetzen“, heißt es in der Anklageschrift. Es ist die Rede von „mafiösen Strukturen“, weiteren, bislang unbekannten Tätern und Hintermännern.

Spätestens seit dem Marengo-Prozess um eine große Kokainbande, die auch für die Ermordung des Journalisten Peter R. de Vries und eines Anwalts verantwortlich sein soll, ist die Gewaltbereitschaft niederländischer Gruppierungen auch in Deutschland bekannt. „Wir haben entsprechende Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Mehr möchte ich dazu nicht sagen“, sagt Baum auf die Frage, ob eine Bedrohungs­lage befürchtet wird.

Die Täter gingen arbeitsteilig vor

Bei ihren Beutezügen gingen die Täter arbeitsteilig vor, als Logistiker, Sprengsatzhersteller, Fahrer und Sprenger. Das LKA nimmt an, dass die Ziele vorher ausgekundschaftet wurden. Wichtig für die Wahl des Tatorts sind eine gute Anbindung ans Autobahnnetz, um eine schnelle Flucht zu ermöglichen, sowie die Modelle der Geldautomaten. Über die Bundes­autobahn 52 stießen die Teams von drei bis vier Mann aus den Niederlanden nach Deutschland vor, wohl auch mit Begleitfahrzeugen wie beispielsweise einem Audi A3 oder einem VW Passat, die bei einer Ausspähfahrt am 13. Januar 2023 zum Einsatz kamen, um unvorhergesehene Probleme zu melden.

Am Zielort wurde der Eingang der Bankgebäude mit einem Gegenstand blockiert und mindestens zwei Automaten bearbeitet. Die Gerätehüllen und Ummantelungen der Geldschächte wurden mit einem Brecheisen oder ähnlichen Werkzeugen aufgehebelt, Sprengstoff mit einer langen Zündschnur deponiert und außerhalb des Gebäudes mit einer Zündpille zur Detonation gebracht. Eine weitere Technik (…). In der Regel dauerten die Aktionen nicht länger als fünf Minuten. War das Bargeld zusammengerafft, rasten die Täter Richtung Niederlande oder zu einem Unterschlupf in der Nähe des Tatorts. Schon bei der Anfahrt wurde ein von einem anderen Wagen abmontiertes Kennzeichen an den Fluchtwagen angebracht.

Das Tatfahrzeug kann auf mehr als 300 Kilometer pro Stunde beschleunigen

Das bevorzugte Tatfahrzeug der Sprenger, der Audi RS 6, ist kein gewöhnlicher Kombi. Die Modelle der Reihe haben 400 bis 600 PS und können auf mehr als 300 km/h beschleunigen. (…)

Da auch immer wieder billigend in Kauf genommen wurde, dass Unbeteiligte verletzt oder getötet hätten werden können, dürfen die Angeklagten bei einer Verurteilung nicht auf ein mildes Urteil hoffen. (…) Für die Sprenger können bis zu 15 Jahre im Gefängnis folgen.

Ob der Prozess andere niederländische Sprengerbanden davon abhält, in das Bargeldland Deutschland einzufallen, wird sich zeigen. Zumindest scheint der Trend rückläufig. In den ersten drei Monaten dieses Jahres gab es 56 Sprengungen in Deutschland durch Tätergruppen aus den Niederlanden, wie „de Volkskrant“ berichtet. Das wären 64 weniger als im selben Zeitraum des vergangenen Jahres. Wohl auch, weil die Sicherheitsbehörden beider Länder besser zusammenarbeiten.

zum vollständigen FAZ-Artikel

Geschrieben: FAZ-mdw; veröffentlicht: 26.04.24; Bilder v. webzet (Titelbild ist i.d.R. Symbolfoto); BildNw:

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2 Gedanken zu “Mammutprozess gegen Geldautomatensprenger

    1. @ Wolfer
      Normalerweise werden Gerichtsverfahren immer an dem Ort dort durchgeführt, wo die Straftaten ursprünglich begangen worden sind.
      Bei unterschiedlichen Tatorten einigen sich dann Gerichte und Staatsanwaltschaften auf einen gemeinsamen Ort – in diesem Fall Bamberg.

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